Wir sind alle nicht vegan.

Die vegane Idee basiert darauf, empfindungsfähigen Lebewesen möglichst wenig Leid zuzufügen. In unserer Kultur ist es sehr gut möglich, auf Produkte von nichtmenschlichen Tieren zu verzichten. Auch wenn es selbst in diesem Sinne nicht möglich ist, die 100% zu erreichen, lohnt es sich, klare Vorstellungen von veganem Konsum zu haben. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass es sich um eine Vereinfachung handelt.

Wir haben eine Kategorie geschaffen, um einen gewissen ethischen Fortschritt im Konsum festhalten zu können. Veganer Konsum kann somit gut kommuniziert werden und durch die wenigen Grauzonen müssen wir nicht alle hundertfach neu nachdenken, wenn wir im Laden stehen. Gemeint ist, dass ich Waren und Tätigkeiten relativ einfach in „mit vegan vereinbar“ und „nicht mit vegan vereinbar“ einteilen kann. Es ist sehr klar, dass Käse unmittelbar die Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere verursacht und somit nicht mit vegan vereinbar ist, während Impfungen beispielsweise aus praktischen Gründen mit „vegan“ vereinbar sind.

Es handelt sich also um eine pragmatische Konsumbewertung. Durch diese konkreten Grenzen lassen sich einfacher Forderungen formulieren, an Privatpersonen sowie auch politisch. Letztendlich gibt es diesen klaren Veganismus jedoch nicht. Und damit meine ich nicht nur die pragmatischen Kompromisse, die man eingeht, wenn man eigentlich komplett auf Produkte nichtmenschlicher Tiere verzichten möchte. Ich meine die simple Tatsache, dass sich nichtmenschliche Tiere nicht so einfach von menschlichen Abgrenzen lassen.

Natürlich könnte man analysieren, welche durchschnittlichen Eigenschaften bei welcher Spezies zu welcher Art der Ausbeutung geführt haben, aber letztendlich sind viele Gruppen von Ausbeutung betroffen. Die Spezies ist nur eine Möglichkeit, eine diskriminierte Gruppe auszumachen. Wir diskriminieren genauso wegen des Geschlechts, der Hautfarbe, der Herkunft, der Religion etc. Die harte Tatsache, die viele zu übersehen scheinen, ist, dass viele unserer Waren durch die Ausbeutung von Menschen erzeugt werden.

Klar, wir wissen auf einer gewissen Ebene, dass Menschen ausgebeutet werden und natürlich kaufen viele dann beispielsweise auch Fairtrade oder achten anderweitig darauf. Es wird aber oft vergessen, dass diese Form der Ausbeutung mit der pragmatischen Konsumeinteilung des Veganismus vereinbar ist, nicht aber mit der ethischen Idee dahinter. Warum geben wir uns mit ein paar mehr Cents für Menschensklaven in Fabriken zufrieden, während wir ein paar Zentimeter mehr Bioplatz für Tiere ablehnen? Wir Reduzieren in der Praxis also den Begriff des Veganismus auf die explizite Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere, weil der daraus resultierende Lebensstil für uns sehr leicht möglich ist und wir dann in keinem unscharfen „Versuch, weniger Leid zu erzeugen“-Konsum versinken und dann so letztendlich doch nichts verändern.

Die Idee hinter Veganismus ist aber eine grundlegende Ethik, die die Interessen von empfindungsfähigen Lebewesen angemessen berücksichtigt, und zwar unabhängig von der Spezies. Einen theoretischen Unterschied zwischen ausgebeuteten nichtmenschlichen Tieren und versklavten menschlichen Tieren zu sehen, ist also selbst speziesistisch. Worauf ich hinaus möchte ist, dass es unter dem Strich keinen Fortschritt bringt, wenn wir ausgebeutete nichtmenschliche Tiere durch menschliche ersetzen.

Viele träumen von einer veganen Welt, die sie erst einmal erreichen wollen und denken dabei an eine Welt, in der nichtmenschliche Tiere nicht mehr ausgebeutet werden. Es ist aber keine vegane Welt, wenn weiterhin Menschen ausgebeutet werden, da sich keine nicht-speziesistische Unterscheidung zwischen Mensch und Tier ausführen lässt, die das Prinzip der Ausbeutung in dem einen Fall rechtfertigt und in dem anderen verurteilt.

Leider ist diese vermeintliche Utopie zu kurz gedacht und somit nur eine Verschiebung des Problems. Obwohl also die Begrenzung der Konsumforderung auf die Vermeidung der Ausnutzung nichtmenschlicher Tiere praktisch ihren Zweck erfüllt, können wir die Themen in unserer theoretischen Utopie nicht trennen. Wir sollten uns bewusst sein, dass eine kurz gedachte, vermeintlich vegane Utopie nicht ausreicht und sich die Idee des Veganismus auf alle Tiere, also auch die menschlichen bezieht. Deshalb gibt es keine vegane Welt, in der Menschen ausgebeutet werden und bevor die vegane Bewegung Kompromisse eingeht, um bei diesem vermeintlichen Zwischenschritt zu landen, sollten wir uns fragen, ob dieser kurz gedachte Zwischenschritt nicht vielleicht ein großer Umweg zur wirklichen Utopie ist.

Wir können gern auch quantitative Überlegungen anstellen oder uns auf Bereiche spezialisieren. Aber kritisch wird es genau da, wo wir die einen mühsam erkämpften Errungenschaften aufgeben, um andere schneller zu bekommen. Denn dort, wo wir anderen Befreiungsbewegungen Steine in den Weg legen oder aber die Zügel lockern und beispielsweise Intoleranzen tolerieren, für den Wunsch nach mehr Effizienz oder Akzeptanz in der Gesellschaft, überall dort läuft etwas falsch.

Denn wir, als Tierrechtsbewegung, sind nur ein kleiner Teil der Befreiungsbewegungen, die für eine Utopie nach dem veganen Gedanken notwendig sind. Seid bitte skeptisch bei der Idee, den Veganismus auf den Konsum zu reduzieren und zu entpolitisieren, um vermeintlich mehr Menschen anzusprechen. Passt auf bei „Hauptsache für die Tiere“-Einstellungen, die dazu verleiten, sich nach konservativ oder rechts zu verwässern, oder dem durch naive Toleranz wieder den Weg in die Gesellschaft ermöglichen.

Überlegt euch, ob diese Einstellungen wirklich dem Weg zu einer Utopie entsprechen können, die der veganen Idee gerecht wird.