In den Geschichten, die wir als Kinder in der Fantasie entworfen oder gespielt haben, waren wir gern „die Guten“. In diesen Geschichten wollten wir helfen, retten, befreien, beschützen und „die Bösen“ zur Vernunft bringen.

Mit der Zeit mussten wir lernen, dass das im wirklichen Leben nicht so einfach ist. Es gibt kein „Gut und Böse“. Und nicht alle „Bösen“ sind so leicht von ihren Fehlern zu überzeugen, wie in unseren Geschichten damals.

Wo ist dieser Gerechtigkeitssinn heute? Wir haben ihn alle vergraben. Einige mehr und andere weniger tief. Wir tragen unser Gewissen mit uns herum, aber verbieten ihm, zu urteilen.

Der Druck, der sich dadurch aufbaut, den können wir jedoch loswerden. Der Drang, Gutes zu tun, oder heldenhaft zu sein, wird befriedigt. Künstlich. Durch Filme, Serien, Bücher und Hörspiele. Durch alles, was Geschichten erzählt.

Wenn wir vor der Leinwand sitzen oder auf Buchseiten schauen, sind wir bereit, unser Gewissen und unseren Gerechtigkeitssinn beurteilen zu lassen, was richtig läuft und was nicht. Wir sind einige Minuten lang frei darin, zu sehen und zu fühlen, was wir eigentlich für richtig und falsch halten.

In dieser kurzen Zeit sympathisieren wir mit den Held*innen der Geschichten und fiebern mit, als würde es um unsere eigenen Ziele gehen. Wir sehen die Unterdrückung, wir sehen die „Schwachen“, und wir sehen die ausbeutenden Reichen. Und wir verstehen es.

Wir verstehen, dass das geändert werden muss. Wir wollen, dass der*die Held*in die Ungerechtigkeiten löst. Wir wollen, dass die Privilegierten ihre unverdienten Machtverhältnisse nicht ausnutzen, um zu unterdrücken.

Wenn die Geschichte zu Ende ist, dann gehen wir zufrieden nach Hause, als hätten wir höchst persönlich diese ruhmvollen Taten begangen.

Unser Gewissen, unser Gerechtigkeitssinn und unsere Verantwortung werden ausgeschaltet, unser Durst nach Fairness ist gestillt.

Und wir merken nicht, dass die Realität in Wirklichkeit eine Geschichte erzählt, in der wir zu den Bösen gehören.