Wir müssen alle selbst entscheiden.

Im Grunde stimmt das, ich kann und will niemanden zwingen, nur noch Pflanzen zu essen. In dem Sinne, dass ich Menschen ungern festhalte und mit einem Trichter das Essen in sie hinein befördere, wie es bei Gänsen für Stopfleber getan wird.

Ich hätte zwar nichts gegen ein Gesetz, das Tierqual wirklich ohne wirtschaftliche Ausnahmen verbietet, aber ich kann niemanden einfach festhalten und füttern. Ich bin also auch der Ansicht, dass Menschen in der aktuellen Zeit selbst entscheiden sollen, ob sie Tierqualprodukte fördern wollen. Womit ich aber nicht konform gehe, ist die damit subtil verbundene Forderung, meine Thematisierung des Tierleids zu unterbinden.

Ich muss über das Thema aufklären, ich muss unangenehme Fragen stellen und Aussagen tätigen, ich muss Menschen und ihr Verhalten hinterfragen, konfrontieren und verstehen. Ich muss versuchen, das Wegschauen möglichst zu erschweren. Denn wie wollen wir eine richtige Entscheidung treffen, wenn wir nicht wissen, worum es geht?

Ich lebe nicht in der Illusion, dass alle Menschen sich freiwillig ausführlich über das Thema der Tierrechte und die Methoden der Tierindustrie informieren, um zu entscheiden, ob sie dafür bezahlen wollen oder nicht. Das wird nicht passieren. Aufgrund der Bequemlichkeit und Gewohnheit und des positiven Selbstbildes ist es äußerst unwahrscheinlich, dass jemand sich in diesem Bereich selbst hinterfragt, sich herausfordert und dann auch noch bereit dazu ist, am Ende wirklich das umzusetzen, was er*sie selbst vertretbar findet.

Ja, am Ende müssen Menschen selbst entscheiden, inwiefern sie mit der strukturellen Ausbeutung von Tieren zufrieden sind und welcher Konsum ihren eigenen Werten am nächsten kommt.

Bis dahin ist es die Pflicht von jenen, die dieses Phänomen bereits hinterfragt haben, entsprechende Informationen bereitzustellen und zu verbreiten, Anstöße zu geben, zu motivieren und herauszufordern. Viele Veganer*innen, inklusive meiner Wenigkeit, bereuen es am Ende nur, sich nicht schon eher hinterfragt zu haben. Und ich hätte mir gewünscht, dass damals eine „militante“, vegan lebende Person auf mich zugekommen wäre und mich hinterfragt hätte. Ich habe es nun mal nicht selbst getan und wenn, dann nur sehr oberflächlich. Ich hätte sehr gern gewusst, wie ich reagiert hätte, auch wenn ich dann sicher nicht von jetzt auf gleich alle Tierprodukte gestrichen hätte, so hätte es vielleicht einen Stein ins Rollen gebracht. Vielleicht hätte es mich auch abgeschreckt, aber so wäre es zumindest eine Chance gewesen, mich überzeugen zu lassen. Vielleicht hätte ich den Schritt getan, wenn man sich Zeit genommen hätte, den Kern meiner Einstellung zu finden und mir deutlich zu machen, dass ich eigentlich schon immer die Werte vertreten hatte, die zum Veganismus führen. Ich hatte nur nicht entsprechend gehandelt.

Ich kann also zustimmen, wenn jemand sagt, dass man es letztendlich selbst entscheiden müsse, aber ich akzeptiere diese Aussage nicht als Kritik an meiner Diskussionsfreudigkeit oder an Aktivismus.