Warum muss das so sein? Warum ich?
Was sind denn schon deine Probleme gegen meine?

Ich hätte wirklich gerne Mitleid mit dir! Aber ich kann nicht! Zu sehr habe ich den Wunsch mit dir zu tauschen.
Wenn du wirklich wüsstest, was ich durchmachen musste, würdest du glücklich mit deinen kleinen Alltagsproblemen sein.

Oder was ist für dich ein erfülltes Leben? Hättest du mit mir tauschen wollen?
Wahrscheinlich möchtest du nicht mal darüber nachdenken, wie es mir erging.
Aber ich bin nicht der einzige.

Die Charakter prägenden Eindrücke entstehen wohl kurz nach der Geburt.
Wenn man das fröhliche Lächeln der Eltern sieht, wie sie einen in den Arm nehmen, als sei man das Wichtigste auf der Welt.
Meine Mutter hätte das auch gern getan, das konnte ich an ihrem Blick sehen.

Ja, ich erinnere mich noch, wie sie dort bis zur Bewegungsunfähigkeit eingegittert lag und mich ansah.
Ihr schmerzvoller Blick erzählte mir so viel über die Welt.
Zwischen ihrer sehnsüchtigen Liebe zu ihren Kindern – mir, und meinen Geschwistern – und dem Verlangen, uns schützend in den Arm zu nehmen, war auch die Reue zu erkennen, uns in eine so grausame Welt hinein geboren zu haben.
Was dieser hilflos bemitleidende Blick wirklich bedeutete, sollte ich dann später auch erfahren.

Nach der ersten Annäherungszeit an meine Mutter wurden wir auf einmal von ihr weggerissen.
Ich habe sie nie wieder gesehen.
Dafür sah ich jetzt viele andere, die in selber Situation zu sein schienen.

Es war düster und dunkel, überall Verzweiflung, Schmerz und traurige Blicke. Mein Zellennachbar erklärte mir später, dass meine Mutter jetzt an einem besseren Ort sei.
Er sagte, wir würden alle irgendwann erlöst und für unser Durchhalten am Ende belohnt werden. Daran konnte ich mich festhalten.

Der unendliche Schmerz, als man mir zum Beispiel meine Geschlechtsorgane ohne Narkose teilweise entfernte, war nichts gegen diese enormen Qualen der Lebensunfähigkeit.
Ich wäre lieber tot gewesen.

Weißt du wie das ist? Warst du schon mal in einem Zimmer eingesperrt?
Ein Zimmer, in dem Absolut nichts ist, ein Zimmer, dass so klein ist, dass du dich nicht einmal richtig hinlegen kannst?
Nennen wir dieses Zimmer „Besenkammer“. Warst du schon in einer Besenkammer eingesperrt?
Wie lange hast du es ausgehalten? Eine Stunde? Zwei vielleicht? Taten dir dann die Füße weh?

Ich glaube, jemand der nicht an dem Ort war, an dem ich war, hat keine Vorstellung davon, wie grausam es ist.
Wie grausam es ist, sein Leben lang in einer Besenkammer eingesperrt zu sein.
Wie würdest du dir eine Hölle vorstellen?

„Artgerecht“ sagen sie und fühlen deshalb kein Mitleid. Aber wie artgerecht ist denn eine Besenkammer?
Wieso werden die schrecklichsten Verbrecher*innen mit Aufenthalt in Gefängnissen bestraft, die im Vergleich zu „artgerecht“ purer Luxus sind?
Was habe ich noch schlimmeres getan?

Minute für Minute habe ich gekämpft, Stunde für Stunde verstrich. Elende Qualen erlitten meine Zellennachbar*innen.
Einige hielten es nicht durch und starben.

Ich aber kämpfte, ich wollte die Erlösung am Ende, die Belohnung.
Nach einer Unendlichkeit kam man auf mich zu.
Ich wurde mitgenommen.

Ich fragte mich, ob ich es nun endlich überstanden hatte.
Meine Mitgefangenen, ich und einige andere wurden abgeführt.
Getreten, geschlagen, mit Stromstößen versehen, damit wir in die richtige Richtung liefen.

Ich hatte Hoffnung, nun befreit zu werden. Gibt es wohl auch so etwas wie „Glück“ im Leben? Irgendein positives Gefühl?

Wir wurden in einen Lastwagen gesteckt. Ich bekam Angst.
Es war eine Art Massenpanik, wir wussten nicht, was auf uns zu kam.
Könnte es womöglich noch schlimmer werden?
Ich schrie. Aber niemand hörte mich.

Unterwegs sah ich bunte Dinge, grüne Flächen, ein leuchtendes Etwas am Himmel.
Es sah alles wunderschön aus.
Sollte das das Paradies sein von dem alle sprachen?

Für einen sehr kurzen Moment spürte ich Glück. Es war das einzige Mal in meinem Leben.
Unterwegs brachen einige meiner Mitgefährt*innen zusammen. Sie waren gestorben.
Ich wollte auch.
Ich wollte weg.

Als hätte man mich erhört, wurde mir dieser Wunsch später auch Erfüllt.
Man setzte uns unter starken Strom oder rammte uns teilweise einen Bolzen in das Gehirn, um uns dann kopfüber aufhängen zu können.
Benebelt spürte ich noch einen stechenden Schmerz in meiner Kehle.
Ich versuchte, mich zu wehren, aber es half nichts.

Meine letzten Kräfte schwanden und warmes Blut strömte über meinen Körper.
Endlich entschwand ich aus dieser Hölle.

Wieso, verdammt?
Wieso muss man so „leben“?
Was hatten sie mit uns getan?
Wer lässt so etwas zu?
Warum hatten sie es getan?

Bitte, erkläre mir das!