Liebe Menschen der zukünftigen Generationen,

auch ich möchte mich für unseren fahrlässigen Umgang mit der Welt entschuldigen. Ich weiß aus unserer Zeit, dass man sich oft fragt: „Wieso hat man nichts dagegen getan?“

Und ich möchte diese Frage gern aus meiner Perspektive beantworten: Auf einer abstrakten Ebene ist uns allen bewusst, dass es „5 vor 12“ ist. Wir vielleicht sogar die letzte Generation gewesen sind, die es in der Hand gehabt hätte. Uns ist seit Jahrzehnten bekannt, dass wir dieses Schiff direkt gegen den Eisberg steuern. Aber wir hatten immer noch Zeit. Es war nie akut. Stets wurden Gelder investiert, um am Klimawandel zu forschen, stets wurden neue mögliche Folgen bekannt, aber nie wurde etwas geändert.

Für meine Perspektive ist natürlich mein Hintergrund relevant. Ich lebe in Deutschland, habe mittleres Einkommen und sitze gerade in der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit. Ich weiß nicht, wie meine Zeit rückblickend dargestellt wird, aber ich könnte mir vorstellen, dass das Bewusstsein über unseren Einfluss auf das Klima, die extremen Folgen und die Tatsache, dass es meine Generation sein könnte, die als letzte scheitert, die Welt zu retten, ein Bild erzeugt, dass nahezu Apokalyptisch ist. Vielleicht ähnlich, wie ich mir eine Zukunft vorstelle, in der die Folgen des Klimawandels spürbar sind. Wahrscheinlich lässt sich sogar dann eine Normalität leben. So wie sich in den Kriegsgegenden Menschen daran gewöhnen, dass ab und zu irgendwo Bomben explodieren. Dass dort die Kinder irgendwann trotzdem einfach auf dem Platz fröhlich Fußball spielen, ist genauso bewundernswert wie traurig. Es könnte auch ein Minenfeld sein, es wäre trotzdem eine Normalität möglich.

Es tut mir leid, dass ihr die Effekte zu spüren bekommt, die aus unserer Verantwortung resultieren. Dort wo ich lebe, werden wir die Effekte unseres Handelns wahrscheinlich als letzte spüren. Wir haben hier (noch?) kein Potenzial für Tsunamis, Hurrikans oder ähnliches. Wasserknappheit kennen wir auch nicht, weil wir alles, was uns fehlt, anderen Gegenden klauen. Wir leben also nicht nur luxuriös und gehören damit zu den größten Verantwortlichen, sondern wir tun es auch auf Kosten unserer Mitwelt. Das akute Leid, dass wir dadurch verursachen blenden wir geschickt aus. Und dass die Natur dann zurückschlagen wird, trifft uns ebenfalls nicht. Zumindest nicht am härtesten. Wir wissen auch irgendwie auf einer abstrakten Ebene, dass die Kleidung, die wir kaufen, wenn wir nicht auf strenge Zertifikate achten, aus sklavenähnlichen Konstrukten stammt. Aber wir haben das ausgelagert und sehen es nicht. Also ist es uns egal. Das ist traurig, aber liegt wohl auch im Wesen des Menschen, oder zumindest im Wesen unserer Kultur.

Wir beuten also die halbe Welt aus, Menschen und Tiere in unfassbarem Ausmaß und wir schauen gerne weg. Vielleicht heißt es später, dass es uns vielleicht nicht wirklich bewusst war, weil es der einzige Erklärungsansatz ist, der solch ein Verhalten noch wohlwollend betrachtet und von außen nachvollziehbar macht. Aber im Grunde wissen wir es. Wir wissen genug. Es scheitert nicht am Wissen, es scheitert daran, etwas zu ändern. Es scheitert an der Verantwortung. Wir sind alle festgefahren in unseren Verhaltensweisen und Denkmustern und unser Alltag steht immer über allem anderen.

Wir gehen in den Laden, kaufen uns Lebensmittel aus aller Welt, insbesondere kaufen sich die meisten auch große Mengen an Fleisch oder Tierprodukten oder Palmölprodukten, ohne darüber nachzudenken. Viele wollen „Reduzieren“, aber das ist schon seit Jahrzehnten der Plan. Auch unser CO2-Ausstoß soll langfristig reduziert werden. Aber bei all dem geht die Kurve genau in die andere Richtung. Wir brauchen anscheinend einen sehr radikalen Wandel, aber Menschen, insbesondere große Menschengruppen sind nicht in der Lage, etwas radikal zu ändern. Wenn sich Dinge langsam verändern, finden wir den Punkt nicht, ab dem wir abspringen müssen. Für die Konsumierenden ist es schwierig, sich radikal richtig zu verhalten, weil unsere Produkte und die Lebensstile nicht darauf ausgelegt sind. Es ist zwar einfach, Tierprodukte zu meiden – und selbst da wehren sich die Menschen mit aller Kraft – aber dass jede Kleinigkeit in Plastik eingeschweißt ist, oder dass Textilien zu Sklavenbedingungen auf der anderen Seite der Erde produziert werden, oder dass Rohstoffe für technische Geräte, auf die wir uns angewiesen fühlen, aus Konfliktminen stammen, oder unser Kakao von Kindersklaven geerntet wird, macht es nicht einfach.

Und die Politik kann nichts ändern, weil sie zum einen wirtschaftliche Interessen berücksichtigt und zum anderen die Bürger nicht abschrecken will. Ich selbst befürworte einen radikalen und massiven Wandel, gesteuert von Verboten, die unseren Luxus so weit reduzieren, dass wir dem Rest der Welt nicht mehr schaden. Ich würde wollen, dass man mir sinnvolle Grenzen setzt, von denen ich weiß, dass ich sie ohne Verbot aus Eigenantrieb nicht halten kann. Tierprodukte zu vermeiden, nicht mit dem Flugzeug reisen und regional Einkaufen sind wohl die Dinge, mit denen wir als Konsumierende relativ einfach einen großen positiven Effekt haben würden (eigentlich muss man sagen „einen etwas weniger negativen Effekt“).

Und ich wünschte mir, es wäre unser Selbstverständnis, dass es das Mindeste ist, dass jede einzelne Person von uns tun sollte. Ich habe mich dazu entschieden, keine Tierprodukte mehr zu essen, ich fahre kein Auto (Update 2024: jetzt fahre ich E-Auto), ich verweigere Flugzeug fliegen, benutze die Heizung nur im äußersten Notfall usw. Aber selbst da liegt der ökologische Fußabdruck so hoch, dass knapp 2 Erden benötigt würden, wenn alle Menschen so leben würden wie ich. Also reicht auch das nicht und ich frage mich zum einen, was ich noch tun kann und zum anderen bin ich mir aber darüber bewusst, dass meine Disziplin dazu wahrscheinlich nicht ausreichen würde.

Was ich aber sicher weiß, ist, dass das alles nicht langfristig funktionieren kann, solange wir privilegierten Menschen nicht bereit sind, auf sehr viel zu verzichten. Wir können nicht erwarten, unseren Luxus zu behalten oder gar zu steigern, ohne gleichzeitig die Welt, bzw. unsere Mitwelt zu quälen und zu vernichten.

Ich habe nicht die Hoffnung, dass wir es als Massenbewegung schaffen, uns radikal zurückzunehmen und unsere ganzen Prioritäten zu ändern, um Ethik und Nachhaltigkeit eine Chance zu geben. Wir haben es hier viel zu gemütlich und wir werden wahrscheinlich die Letzten sein, die die Konsequenzen unseres Handelns spüren. Also bleibt unser Egoismus in unserer Trägheit bestehen. Gemischt mit Zynismus, wenn wir erkennen, dass das ganze Gebäude in Flammen steht und wir nur einen Fingerhut Wasser haben, um zu löschen. Und auch die dramatischen Erkenntnisse, zu denen wir in der Lage wären, wenn wir einmal fünf Minuten nachdächten, ändern nichts an unserem Alltag. Denn auf „Wir müssen unbedingt sofort ganz viele Dinge radikal ändern, um weniger Leid und Zerstörung über die Welt zu bringen!“, folgt die Überlegung, wann wir schlafen gehen müssen, um am nächsten Tag dann pünktlich im Büro zu sitzen und ob wir es vorher noch schaffen, die Wäsche zu waschen.

Wir sind in unseren Normalitäten gefangen, unter der so viele andere Menschen und Tiere leiden und noch viel mehr leiden werden.

Und dafür möchte ich mich aus tiefstem Herzen entschuldigen! Verzeiht uns bitte!

In Liebe, aus dem Jahr 2019