Artgerecht und Massentierhaltung.
Zwei Worte, die ihre Bedeutung verloren haben. Oder sogar nie eine hatten.

Dass 98% unserer Tierindustrie konventionell sind, braucht man gar nicht mehr erwähnen. Das Fatale ist, dass diese Zahl es zulässt, sich zu den anderen 2% zählen zu können. Es ist wie mit dem Rauchen. Lungenkrebs bekommen immer nur die anderen. Das funktioniert genau so lange, bis es einen selbst trifft.

Das Problem bei der Tierhaltung ist: Es trifft einen nie selbst.
Es gibt keine Möglichkeit, zu spüren, dass die Selbsteinschätzung in Bezug auf den eigenen Konsum nicht der Realität entspricht. Sowohl Verbrauchende, also du – um es persönlicher auszudrücken – als auch die Marketingabteilungen der Tierindustrie haben Interesse daran, dass du falsch liegst. Dass du falsch liegst mit dem Glauben daran, dir wären Tiere wichtig, du würdest auf die Herkunft achten und du hättest etwas gegen Massentierhaltung. Ihr arbeitet also zusammen. Sie schenken dir Bilder von Wiesen auf den Produkten und dicke Mauern um ihre Fabriken und du schenkst ihnen Geld. Ihr seid ein super Team! Auch wenn du es selbstverständlich so nicht sehen willst.

Wenn ich dich frage, was du von der Tierindustrie hältst, warum sagst du mir dann, du fändest Massentierhaltung blöd? Obwohl du erstens gar nicht weißt, was genau “Massentierhaltung” ist und zweitens keine Ahnung hast, inwiefern sich beispielsweise “Bio” davon unterscheiden soll. Wieso bist du dafür, die Ausnutzung von Tieren “artgerechter” zu gestalten, ohne überhaupt eine konkrete Idee von “artgerecht” zu haben? Und angenommen, du hättest wirklich ein konkretes Bild davon, welcher Umgang mit Tieren für dich gerechtfertigt wäre und hättest auch Zugang zu einer solchen Quelle. Wieso fühlst du dich dann trotzdem nicht maßgeblich mit dafür verantwortlich, was in den Intensivtierhaltungen geschieht?
Denn du bezahlst sie.

Schließe deine Augen und stell dir eine Tierhaltung vor, wie sie üblich ist. Unschön, brutal, blutig, empathielos.
Du hast sicher schon einmal Bilder irgendwo gesehen. Falls nicht, steht dir das Internet zur Verfügung, um das nachzuholen. Stell dir einfach eine Tierhaltung vor, bei der es darum geht, mit einem Tier Geld zu machen – du kennst uns Menschen. Und wenn du die Augen schließt und das Blut aus dem kopfüber hängenden Tier spritzt, dann siehst du genau das, was du finanzierst.
Und wenn du ehrlich zu dir selbst sein könntest, dann wüsstest du das. Du wüsstest, dass es dir egal ist. Mindestens immer dann, wenn du unterwegs bist. In der Mensa der Uni, im Restaurant mit Freund*innen oder am Wochenende bei der Familie.

Bei Eiern reicht es dir, wenn eine grüne Wiese auf der Packung zu sehen ist. Bei Milch ist dir sogar “pasteurisiert” wichtiger, als “Weidehaltung”.
(Und selbst wenn du auf “Weidemilch” achtest, stehen die Kühe in der Regel 120 Tage im Jahr je 6 Stunden auf der Weide – wow. Die Zeit dazwischen ist natürlich nicht so wichtig, es geht dir ja um den Ansatz. Und das Kalb muss “natürlich” jedes Mal entraubt und anschließend getötet werden. Sonst könnten wir ja die Milch nicht trinken. Und wir brauchen nun mal Kuhmilch, oder?)
Und die Eier im Gebäck sowie das Magermilchpulver in der Tütensuppe sind dir nicht einmal die Rede wert. Auf solche Kleinigkeiten muss man doch keine Rücksicht nehmen. Und genau dort bezahlst sogar du, obwohl dir “artgerecht” so wichtig ist, diese Grausamkeiten, die du selbst nicht wahr haben willst.

Davon lebt die Tierindustrie.

Die Begriffe “artgerecht” und “Massentierhaltung” sind leer.
Sie sagen nichts aus, sie helfen nur weiter zu Konsumieren, ohne etwas ändern zu müssen.
Durch den Begriff “Massentierhaltung” gibt es ein Feindbild, das man kritisieren kann und der Begriff “artgerecht” beschreibt eine vertretbare Alternative, die so abstrakt ist, dass man sich nicht damit auseinandersetzen muss.
Dank dessen ist es möglich, sich dieser abstrakten Utopie zugehörig zu fühlen, in der der bisherige Konsum vertretbar ist.

Es wird Zeit, dass du dir deiner Verantwortung bewusst wirst!
Ich kann dir nur sagen, was du sicher schon weißt: Wenn sich etwas an der Welt ändern soll, müssen wir auch bereit sein, wirklich etwas zu ändern.