Ich hoffe, ich habe früher nicht an den Weihnachtsmann geglaubt. Als Kind war ich naiv. Ich hatte noch nicht gelernt, dass Erwachsene oft bewusst und ohne Scham die Unwahrheit sagen. Man konnte mir von Zwergen erzählen, die nachts Briefe schrieben, die uns von dem Erzieh-Personal am nächsten Tag sogar vorgelesen wurden. Ich war auch anfällig für Religionen. Ich wurde nicht religiös erzogen, aber es gab da dieses Fach in der Grundschule. Es nannte sich „Religion“. Als Kind war mir nicht klar, dass das ein Synonym für „Märchenstunde“ war. Dort wurden Geschichten in Anlehnung an die Bibel vorgetragen. Man hatte mir nie gesagt, dass das nur Mythen sind. Eines Tages fragte ich meine Lehrerin, ob Gott denn auch hören würde, wenn man leise im Kopf bete. Und zack! Ich war nicht nur gläubig, ich hatte auch plötzlich Angst etwas Falsches zu denken. Es war äußerst mühselig, diese Gedanken- bzw. Entschuldigungszwänge später wieder loszuwerden. Meine Gedanken gehören mir! Wieso erzählt man einem unschuldigen, gutgläubigen Kind so etwas?Und Religionsunterricht, bzw. frühkindliche Indoktrination, in der Grundschule ist nur die Spitze vom Weihnachtsbaum. In vielen Filmen sieht man Kinder, die an den Weihnachtsmann glauben. Und man sieht ihre Enttäuschung und ihren Schmerz, wenn sie irgendwann erfahren, dass sie vorsätzlich veräppelt wurden.

Ich sehe das auf mehrere weisen kritisch.
Erstens ist es nun mal so, dass das Kind bewusst belogen wird.
Vielleicht bin ich da besonders sensibel, aber ich finde es eher verletzend, wenn meine Erziehungsfiguren mich belügen. So wie man es tat, als man mir von Gott erzählte, oder von den Zwergenfiguren, die des Nachts lebendig werden, oder sicher auch vieles andere, was mir nicht mehr einfällt. Dann kostet es noch sehr viel Energie, diese Lüge aufrecht zu erhalten. Denn Kinder können neugierig sein. Sie wollen die Welt verstehen. Den Grundstein für vernünftiges Denken legt man nicht mit Märchen. Was ist, wenn das Kind schlau ist? Und es erkennt, dass die Geschichte aus verschiedenen Gründen nicht praktisch realisierbar ist? In dem Moment hatte es vielleicht noch die Fähigkeit, rational zu denken. Und jetzt kommen die Menschen, denen es vertraut und zerstören diese Intuition. Das schadet doch sicher der Vernunft des Kindes. Logik wird zerstört und das Kind lernt, dass auch unvernünftige Dinge Realität seien. Die Fähigkeit gegen die Vernunft zu Glauben wird gestärkt. Und Diskussionen im Erwachsenenalter sind dann sicher kaum logisch. „Gottes Wille ist unergründlich“ und „Der Weihnachtsmann kann das einfach“, prägen dann das Denken. Bedeutet das nicht so viel wie „Es gibt Dinge, die du nicht verstehst“? An sich kann das ja stimmen, aber kein Mensch sollte das als Ende des Gedanken empfinden. Und das ist das Fatale. Vielleicht male ich den Teufel an die Wand, aber man muss doch zumindest besorgt sein, dass der Versuch, einen äußerst unrealistischen Umstand in den unschuldigen Verstand eines Kindes einzubrennen, Langzeitfolgen haben könnte.

An der Alternative ist ja nichts auszusetzen. Es ist doch keineswegs weniger schön, wenn ein Kind weiß, dass es etwas von den Menschen bekommt, die es mag und denen es wichtig ist. Auch die Inszenierung mit merkwürdiger Verkleidung oder sterbendem Baum im Wohnzimmer, kann ja durchaus beibehalten werden. Diese spielerischen Elemente brauchen keinen tieferen Sinn, der Osterhase braucht ja auch keine Geschichte. Oder gibt es auch Kinder, die an den Osterhasen glauben? Mir fällt auf, dass ich das nicht weiß. Ich hoffe aber, dass dieses Phänomen, Kinder Märchen als Wahrheit zu verkaufen nur bei Weihnachten so ausgeprägt ist. Und bei Religionen. Nur dass Erwachsene verstanden haben, dass der Weihnachtsmann eine Erfindung ohne Realitätsbezug ist. Warum das bei Gott so schwierig ist, weiß ich nicht. Die Definition eines Gottes ist nicht wesentlich unrealistischer als die des Weihnachtsmannes. Wahrscheinlich sind die Gehirne von älteren Menschen in einem solchen Maße unflexibler, dass sie ein „Ich muss dir was gestehen: Gott gibt es gar nicht.“ nicht mehr akzeptieren können. Der Schmerz wäre zu groß. Er nimmt zu, je länger sich so ein Gedanke einbrennt. Und wenn Kinder schon weinen, weil sie die Geschenke von den Eltern bekamen und nicht vom Weihnachtsmann, dann kann man von einer Erwachsenen Person ja nicht erwarten, dass sie einfach so die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod aufgibt. Und wie man stolz auf Kinder sein kann, die erkennen, dass die Weihnachtsgeschichte keinen Sinn ergibt und beispielsweise anmerken, dass es kaum möglich sei, so viele Menschen in dieser Zeit zu beschenken. Wenn sie anmerken, dass seine Reisegeschwindigkeit so hoch sein müsste, dass die Effekte der Relativitätstheorie greifen müssten und seine Masse beispielsweise so sehr zu nimmt, dass man die gesamte Energie des Planeten bräuchte, um ihn auf die notwendige Geschwindigkeit zu bringen, dann sind wir stolz. Wenn aber ein Erwachsener Mensch sämtliche Unschlüssigkeiten einer Gotteshypothese aufzeigt, von der Theodizee-Frage bis zum widerlegten freien Willen, dann wird er müde belächelt. Denn der menschliche Verstand wäre einfach nicht ausreichend, um Gottes Großartigkeit zu verstehen. Und sein Wille sei unergründlich. Und der Weihnachtsmann kann halt die Geschenke bringen. Sonst gäbe es ja auch keine Geschenke.

Quod Erat Demonstrandum: Und ein fröhliches Fest!