Liebe Mischköstler*innen,

Ich brauche eure Hilfe. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich fühle mich von vielen von euch allein gelassen.
Mein Konsum – hauptsächlich meine Ernährung – ist (noch) nicht sehr gesellschaftskonform.
Ich stehe oft außen vor, muss immer wieder bei Kleinigkeiten nachfragen und dann letztendlich doch ablehnen.
Ebenfalls bleibt selten etwas für mich übrig. Soweit ist alles gut. Das habe ich mir so ausgesucht und da stehe ich auch absolut hinter.

Meine Beweggründe sind stark genug, um diese Alltagsstrapazen zu ertragen. Aber ich würde mir eines wirklich sehr wünschen.
Viele von euch lassen mich allein in dem einsamen Kampf der passiven Handlungsverantwortung.
Es würde mich unglaublich glücklich machen, wenn diejenigen mich nicht allein stehen ließen, wenn sie sich nicht von mir distanzieren würden.

Ich bin eine Person wie ihr auch und stehe im Kreuzfeuer blöder Sprüche und destruktiver Vorwürfe. Ich könnte also ein wenig mentale Unterstützung gebrauchen.
Ich weiß, ihr könnt oft nicht nachvollziehen, wieso ich kein Fleisch essen möchte. Aber ich denke, wenn ihr auf euer Herz hört, dann wird es euch das erklären.

Massentierhaltung ist doch schlecht, oder nicht? Das wissen wir alle. Es ist schlecht, weil Tiere dabei leiden. Mit der Zeit haben sich viele Bilder und Fakten in meinem Kopf gesammelt, die mich einfach dazu zwingen, auch in Milch, Ei und Käse das entsprechende Leid zu sehen. Ich kann einfach nicht anders.
Stellt euch vor, jedes Mal, wenn ihr den Käse seht, den ihr liebt, blitzen Bilder vor eurem inneren Auge auf, von Kühen, die ihr Leben lang auf engstem Raum eingesperrt sind, überzüchtete, entzündete Rieseneuter haben, deren Kinder jedes Jahr neu fortgerissen, ermordet und als „Kalbsfleisch“ verkauft werden, Schmerzensschreie beim Abbrennen der Hörner und einem Bruchteil der natürlichen Lebenserwartungen, bevor ihnen für „Fleisch“ die Kehle aufgeschnitten wird.

Und ihr wisst genau, wenn ihr das kauft, dann sagt ihr „Ja, foltert diese Tiere und beutet sie aus!“ in Form von einem Euro und Neunundachtzig Cent.

Stellt euch vor, ihr seht stets die Realität der heruntergekommenen Hühner mit entzündeten Kloaken vor euch, die wahrscheinlich nie ihre Flügel ausstrecken konnten. Und die unglaublich niedlichen, unwirtschaftlichen, männlichen Küken, und ihre Schreddermaschinen.

Es tut mir wirklich leid! Ich würde mich gern so ernähren, dass ich niemandem auf die Nerven gehe und Teil der Gesellschaft sein kann. Aber es geht einfach nicht. Ich kann es nicht.
Ich habe mir zu genau angesehen, woher der ganze Kram kommt und ich werde das nicht unterstützen.
Und wenn ich dafür Shitstorms und blöde Kommentare aushalten muss, dann sei dem so. Das ist in jedem Fall das geringere Übel.

Aber zurück zu meinem eigentlichen Anliegen.
Ich würde mir wünschen, dass man mich damit nicht allein stehen lässt. Ich würde mir wünschen, dass es heißt „Ich finde es toll, dass du das machst! Wie können wir gegen solche Grausamkeiten weiter vorgehen?“ und nicht „Oh, sorry, aber darauf könnte ich echt nie verzichten.“.
Das entspricht meistens der ersten Reaktion darauf, dass ich mich ungewöhnlich ernähre.

Und ich möchte das Gewissen anderer Leute nicht zu jedem Zeitpunkt belasten, aber wie soll ich dann darauf reagieren? Ich versuche ja schon oft, nur passiv zu erwähnen, dass ich Tierprodukte nicht konsumiere, um eine positive Konversation zu erhalten. Ich möchte doch manchmal auch nur ein harmonisches Miteinander.
Ihr müsst das jetzt nicht nachvollziehen können, aber es ist wirklich extrem schwierig für mich, nur passiv auf Fleisch zu verzichten. Diese Bilder in meinem Kopf tun mir teilweise so sehr weh, dass ich alles dafür tun würde, dass es aufhört.

Ich will nicht dieses unglaublich unvorstellbare Leid der Tiere. Und es kostet mich Kraft, nicht auf die Knie zu gehen und zu betteln, mit der Unterstützung dieser Dystopie aufzuhören.

Und dennoch gebe ich mir Mühe. Aber statt einer unterstützenden Rückmeldung bekomme ich oft detaillierte Beschreibungen, weshalb welches Tierprodukt wie lecker ist und dass man niemals darauf verzichten könne. Ja verdammt, das tut weh! Wie soll ich also reagieren?

Zum einen ist die Aussage schlicht und einfach falsch. Natürlich ist es angenehmer zu denken, man könne sowieso nicht verzichten, dann muss man sich nicht ernsthaft mit Handlungskonsequenzen auseinandersetzen. Aber das ist ein absoluter Irrglaube. Und das weiß ich, weil ich das auch erst dachte.
Es ist ausschließlich Gewohnheit, nicht mehr und nicht weniger. Und Gewohnheiten kann man ändern.

Fakt ist, egal wie sehr man Fleisch oder Käse oder Eier liebt (und ich mochte Käse sehr), wenn man es sich abgewöhnt hat, ist die Sucht weg und man ist absolut zufrieden.
Ich weiß also, dass das eine Worthülse ist. Aber wenn ich das ausspreche, dann wirkt das militant, dann will ich ja jedem meine Meinung aufzwingen.

Das gleiche gilt für Aussagen wie „Jede*r kann das essen, was er*sie essen möchte.“.
Ja, ich weiß, dass das gut gemeint ist, aber es ist leider auch falsch. Es geht nicht um die Lieblingsfarbe, sondern um Ethik.
Aber soll ich das dann erklären? Soll ich deutlich machen, dass es um Leid von Dritten geht?
Dass andere Individuen Qualen erleiden und ermordet werden, weil es „so gut schmeckt“?

Wenn ich nichts zu diesen Bemerkungen sage, stehe ich in Konflikt mit meinen eigenen Idealen – es würde mich innerlich zerreißen, wenn ich solch eine Aussage stehen lassen müsste. Und wenn ich etwas dazu sage, dann werde ich dafür kritisiert.
Das ist ein Dilemma und ich würde mir wünschen, dass ihr euch dieser Schwierigkeit bewusst seid und Veganer*innen etwas verständnisvoller begegnet, und sie in ihrer einsamen Position lieber unterstützt, zumindest sofern ihr “Massentierhaltung” schlecht findet, denn das wäre derselbe Kerngedanke.

Und dann sähe eine Antwort vielleicht wie folgt aus: „Ich finde es toll, dass du Tierleid nicht unterstützt! Eigentlich ist es ja richtig, aber ich habe mich noch nie ernsthaft damit befasst und denke, ich hätte Schwierigkeiten, meine Ernährung umzustellen. Hilfst du mir?“

Vielen Dank! Das bedeutet mir sehr viel!
Mit liebstem Gruß,
eine vegane Person