Der Rassismus in Deutschland war nie besiegt.

Vor einiger Zeit jedoch war er von der Bildfläche verschwunden. Es schien, als könne man Rassismus nun gesellschaftlich offiziell ablehnen.
Zumindest, was den offensichtlich erkennbaren Rassismus anging. Auch wenn die Betroffenen stets ihre verletzenden, respektlosen oder brutalen Erfahrungen machen mussten, zu solch einer Menge, dass sich Diskriminierung für sie inzwischen normal anfühlt. So war es dennoch wenigstens öffentlich möglich, rassistisches Gedankengut zu verurteilen. Und das ist sehr wichtig.

Es darf nicht sein, dass einige Menschen nicht feiern gehen können, weil sie nicht wissen, ob sie in den Club gelassen werden.
Ich hatte das Privileg, nur wenige Erfahrungen mit Rassismus zu machen. Zumindest wenige, die mir selbst als solche aufgefallen sind.

Sei es das eine mal, als ich mit anderen „ausländisch aussehenden“ Menschen auf einem Platz von der Polizei umstellt wurde und wir alle nacheinander abgetastet und identifiziert wurden, nur um anschließend des Platzes verweisen zu werden, mit der Androhung einer Anzeige, wenn wir in den nächsten 24 Stunden zurückkämen. In der Zeitung stand am nächsten Tag, es seien über 50 Menschen mit Migrationshintergrund vom Platz verwiesen worden. Sie hatten aber leider vergessen zu erwähnen, dass das völlig grundlos geschah.

Das Mal, als ich nicht in eine Diskothek gelassen wurde, tat erstaunlich doll weh. Ich hätte nicht gedacht, dass das so schmerzt, „grundlos“ abgewiesen zu werden. Und als ich zur Polizei ging und fragte, ob Diskotheken sowas überhaupt dürfen, bzw. was ich machen könne, hatte man mich abgewimmelt und die Diskothek verteidigt. Ich hätte nicht erwartet, dass so eine zunächst banal wirkende Situation, ein solch mächtiges Gefühl der Machtlosigkeit und Ungerechtigkeit auslöst.

Eine völlig neue Erfahrung war es auch, als ich in einem Jobgespräch die Tätigkeiten des Familienunternehmens erläutert bekam, und der Sohn, der mir alles erklärte, von der Mutter gebeten wurde, doch etwas langsamer zu sprechen. Natürlich meinte die Dame das nicht böse, aber ich war dennoch total sprachlos. Ab diesem Moment konnte ich nachvollziehen, wie es sich anfühlt, wenn man spürt, dass man „anders“ aussieht.

Im Vergleich zu dem, was andere PoC täglich erfahren, sind das sehr wenige und banale Geschehnisse. Ich hatte immer ein stabiles Umfeld, das hinter mir stand. Und ich wusste, wenn etwas passiert, wird man mir seelischen Beistand leisten und sich mit mir über entsprechende Ungerechtigkeiten empören.
Ich hatte also allgemein stets das Gefühl, dass die Gesellschaft hinter mir steht.

Bis vor einiger Zeit. Es scheint, als ist es nicht mehr so trivial, Rassismus zu verurteilen. Man muss plötzlich darüber diskutieren. Rassistische Meinungen sollen plötzlich toleriert werden. Auch von jenen gefordert, die sich links sehen. Es kann nicht die Lösung gegen Rassismus sein, es wieder zu tolerieren, es ist vielmehr die Ursache, warum es plötzlich wieder „normal“ wird. Ich glaube, Links hat sich zu sehr ausgeruht.

Die Mitte der Gesellschaft war menschenfreundlich. Aber wir haben uns zu sehr darauf ausgeruht. Wir haben vergessen, warum wir Rassismus so strikt abgelehnt haben und wir haben nicht bedacht, dass diese ethisch anspruchsvollere Haltung Energie erfordert, um aufrechterhalten zu werden. Steckt man keine Energie mehr rein, Rassismus klar abzulehnen, dann kommt er langsam wieder.

Und es klingt so wunderschön harmonisch, wenn man sagt „wir wollen keine Menschen ausschließen“. Es darf nicht vergessen werden, dass eine tolerante Gesellschaft nicht nur Intoleranz ablehnen darf, sondern auch muss. Wir müssen uns klar positionieren und die Stille darf es nicht mehr geben. Rechts kommt nicht mit Warnleuchte bzw. Springerstiefeln und Glatze. Rechts kommt langsam, schleichend, unbemerkt und sogar freundlich.

Und deshalb brauchen wir wieder ein klares „Nein!“ zu Rassismus, egal in welcher Verkleidung.

[Anmerkung März 2024: Diesen Text habe ich 2018 geschrieben. Es ist gruselig, dass man aus dem Text herausliest, dass es damals noch eine vorsichtige Hypothese eines subtilen Gefühls war (rückblickend kaum vorstellbar), während wir jetzt allgemein Alarmbereit sind und Hunderttausende gegen Rechts auf die Straße gehen (Danke!)]